Immer mehr Menschen werden zu wandelnden Nadelkissen: Sie schwören auf die fernöstliche Heilkraft der Akupunktur. Hilfreiche Therapie oder Placebo-Behandlung ohne stichhaltige Evidenz?
Das Heilen durch das Piksen mit feinen Nadeln erlebte längst einen Wandel vom Nischen- zum Massenphänomen. Seit bei Rücken- und Knieschmerzen sogar die Krankenkassen zahlen, gehört Akupunktur in vielen Praxen zum festen Repertoire. Einige Ärzte stechen geradezu im Akkord. Leider, meinen die Alteingesessenen. Denn eines ist nach ihrer Überzeugung gewiss: Nach dem Prinzip Schnelligkeit wirkt Akupunktur nicht.
<strong>Der Mensch wird zum Nadelkissen</strong>
Der Hamburger Arzt Helmut Rüdinger behandelt seit 28 Jahren mit den kleinen, silbernen Nadeln. Etwa zehn bis 15 davon sticht er bei einer durchschnittlichen Sitzung in die Haut eines Patienten. Bei gesunden Sportlern mit Rückenproblemen sind es auch schon mal bis zu 50 Nadeln. «Dann ist der ganze Rücken voll, vom Nacken bis zu den Versen.»
Ein bis zwei Zentimeter tief bohren sich die Spitzen ins Fleisch. Schmerzhaft sei das trotzdem nicht. «Da gibt es Methoden», sagt Rüdinger. «Wenn jemand einen Karate-Schlag ausführt, schreit er und atmet in diesem Moment aus.» Übertragen auf die Akupunktur: einatmen, dann stossartig ausatmen, in diesem Moment wird gestochen. Ein anderer Trick: Einen Sekundenbruchteil bevor die Nadel kommt, klopft Rüdinger mit der Fingerkuppe auf die Haut - als Ablenkungsmanöver.
<strong>Zehn bis 15 Sitzungen nötig</strong>
Die Prozedur findet grosse Akzeptanz. Die meisten Patienten kommen wegen chronischer Schmerzen in die Praxis des Akupunktur-Spezialisten - Kopfschmerzen und Migräne, aber auch Schmerzen in der Wirbelsäule und des Bewegungsapparates. Häufig behandelt Rüdinger auch psychosomatische Beschwerden. «Bei Schlafstörungen, Nervosität und Stress wirkt Akupunktur erstaunlich gut.» In der Regel sind für eine erfolgreiche Therapie etwa zehn bis 15 Sitzungen nötig, eine oder zwei pro Woche. Bei akuten Schmerzen, wenn beispielsweise jemand mit einem Hexenschuss kommt, reiche aber oft schon ein einziger Termin aus.
<strong>Befreiung von der Pharmabranche</strong>
Die Kunst der Akupunktur kommt ursprünglich aus China und ist schon mehr als 2000 Jahre alt. Rüdingers Begeisterung für die alternative Behandlungsmethode geht bis auf die 70er Jahre zurück. Damals waren es noch wenige, die sich in Europa damit beschäftigten. Antrieb war ihm auch die Ablehnung von einigen «Unarten» der westlichen Medizin. Dass alles einfach durch Schlucken von Pillen bekämpft wird, davon wollte er sich befreien - und damit letztlich auch von der Abhängigkeit von der Pharmaindustrie. «Bei der Akupunktur kommt es viel mehr auf die Beziehung zwischen Arzt und Patient an», sagt Rüdinger.
Nach der uralten chinesischen Überlieferung entstehen Schmerzen, wenn die Lebensenergie im Körper nicht mehr frei fliessen kann. Eventuelle Stauungen können demnach durch Nadelstiche an ganz bestimmten Akupunkturpunkten beseitigt werden. Zahlreiche Studien der westlichen Medizin haben bestätigt, dass es funktioniert.
<strong>Placebo-Verdacht lässt Experten kalt</strong>
Allerdings wurde ebenso bewiesen, dass Akupunktur auch mit stumpfen Nadeln funktioniert, ganz ohne Einstechen. In einem grossangelegten Modellprojekt wurde zudem gezeigt, dass eine Schein-Akupunktur mit beliebig ausgewählten anderen Punkten fast genauso wirksam sein kann. Für Rüdinger stellt dies jedoch keinesfalls die Methode an sich infrage. Im Gegenteil: Akupunktur könne gegen ein noch viel breiteres Spektrum von Erkrankungen helfen, als das, in dem sie bislang eingesetzt wird.
<strong>Richtige Einstellung entscheidend</strong>
Bei der Wahl der richtigen Praxis sollte der Patient vor allem darauf achten, dass sich der Arzt Zeit nimmt. «Das wichtigste ist, dass das nicht im Akkord gemacht wird. Es gibt Praxen, die machen 50, 60 Akupunkturbehandlungen am Tag», sagt Rüdinger.
Genauso wie der Arzt sich für eine erfolgreiche Akupunktur die nötige Zeit nehmen muss, so muss dies allerdings auch der Patient tun. Denn nicht bei jedem schlägt die Behandlung an. Das hänge bestimmt auch von Veranlagungen ab, sagt Rüdinger. Es komme aber auch stark darauf an, dass man sich auf die Akupunktur einlasse.
Haben Sie Akupunktur schon einmal ausprobiert? Schlug die Therapie bei Ihnen an? Schreiben Sie über Ihre Erfahrungen. (ddp)<img src="http://20min.wemfbox.ch/cgi-bin/ivw/CP/iphoneapp" width="1" height="1" border="0" />
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