Freitag, Juli 22, 2011

Die Krux mit der Wetterfühligkeit

Die Krux mit der Wetterfühligkeit


Schwitzen bei 34, Frösteln bei 21 Grad: Das unstete Wetter mache sie müde, behaupten nicht wenig Menschen. Doch gibt es so etwas wie Wetterfühligkeit überhaupt? Die Wissenschaft zweifelt.

Schlapp, müde und antriebslos. So quälen sich momentan diverse Menschen in der Schweiz zur Schule, in die Uni oder zur Arbeit.

Der Schuldige an der Misere wurde auch schon gefunden: das Wetter. Erst unerträglich heiss mit über 30 °C, plagte uns plötzlich eine Schlechtwetter-Front, die die Luft auf frisches Frühsommer-Niveau abkühlte. Nicht jeder Organismus macht einen solchen Wetterumschwung ohne Probleme mit. «Der Körper muss sich auf andere Druck- und Temperaturbedingungen einstellen», erklärt Regula Gehrig vom Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz) den Grund fürs Unwohlsein. Gesunde Menschen tolerierten das normalerweise relativ gut. Ältere und kranke Menschen kämen mit solchen abrupten Veränderungen aber nicht immer ohne weiteres zurecht, wie Gehrig betont: «Gerade der Kaltluftzufuhr wird ein Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System, insbesondere auf den Blutdruck, nachgesagt.»

Zumindest bei der Permanence im Hauptbahnhof Zürich füllte sich das Wartezimmer während der vergangenen Tage nicht mit Wetterfühligen: «Vielen unserer Patienten machte die Hitzeperiode zu schaffen. Wetterbedingt kommt es im Moment eher zu Erkältungen», weiss der Internist und leitende Arzt der Praxis, James Koch.



Viel Gefühl, magere Beweislage



Doch gibt es sie überhaupt, Symptome, die uns - je nach Wetterlage - zu schaffen machen? Die wissenschaftliche Datenlage zur sogenannten Wetterfühligkeit ist bislang eher dünn. Eine der wenigen Studien zu diesem Thema wurde 2002 von der Universität München in Zusammenarbeit mit dem Allensbach Institut in Deutschland durchgeführt. In die Analysen eingeschlossen wurden 1064 Personen ab einem Alter von 16 Jahren.

Einzelinterviews gaben den Forschern Aufschluss darüber, inwiefern das Wetter Einfluss auf das Befinden der Befragten nahm. Dabei zeigte sich, dass mehr als die Hälfte (54,5 Prozent) mehr oder weniger stark auf den Wetterwechsel mit Beschwerden wie Kopfschmerzen, Migräne, Erschöpfung, Schlafstörungen, Müdigkeit, Schwindel, Konzentrationsstörungen oder Gelenkschmerzen reagierte.



Frauen empfinden sich eher als wetterfühlig



Insbesondere das Wohlbefinden der Frauen scheint - glaubt man der Studie - von den meteorologischen Launen der Natur abhängig zu sein. Den Grund dafür sehen einige Mediziner darin, dass das Körperfett bei Frauen anders proportioniert ist als bei Männern. Als weiterer Faktor ist in diesem Zusammenhang die Beschaffenheit der weiblichen Haut zu nennen: Sie ist deutlich dünner als bei Männern, entsprechend empfindlicher reagieren ihre Temperaturrezeptoren.

Auch die deutsche Meteorologin Eva Wanka untersuchte, welche Einflüsse Wetterklassen wie Hochdruck, Tiefdruck, Kalt- oder Warmfronten auf den Organismus haben. Für ihre Analysen liess sie 60 wetterfühlige Testpersonen aus dem Grossraum München Tagebuch über auftretende Beschwerden führen. Danach verglich Wanka die Daten mit Wetterkarten. Es zeigte sich, dass das Aufziehen von Kalt-, beziehungsweise Warmfronten zwei Drittel der Probanden leiden liess.



Studie mit «künstlich erzeugten Druckschwankungen»?



Während sich bei Wärme die Gefässe erweitern, ziehen sie sich bei Kälte zusammen. Je nach physischer Konstitution hat das unterschiedliche Auswirkungen. «Bei manchen treten die Beschwerden vor der Warmfront auf, bei anderen, wenn die Kaltfront da ist», zitiert «Focus» die deutsche Forscherin. Demnach leiden Menschen mit niedrigem Blutdruck häufiger unter Wärme, weil ihnen selbiger wortwörtlich in den Beinen versackt, während Kälte denen zu schaffen macht, die ohnehin schon mit stark verengten Blutgefässen zu kämpfen haben. Allerdings gibt Wanka selbst zu bedenken, dass ihre Untersuchung wissenschaftlichen Kriterien nicht Stand hält, da einige natürliche Faktoren ausgeklammert wurden: «Nur eine Studie, die mit künstlich erzeugten Druckschwankungen arbeitet, hätte Beweiskraft».

Die zweifelhafte Methodik solcher epidemiologischer Studien sind Wasser auf den Mühlen der Gegner von Wetterfühligkeits-Theorien, zu denen sich auch Jürgen Kleinschmidt zählt. «Natürlich wirkt sich das Wetter aus - wenn es heiss ist, schwitzen wir», frotzelte der Münchner Mediziner und Physiker unlängst gegenüber «welt.de».

Bis zu seinem Ruhestand unterhielt Kleinschmidt eine Professur in Balneologie (Bäderkunde) und Klimatologie an der Universität München. Über viele Jahre forschte er zum Thema Wetterfühligkeit und kam dabei zum Schluss, dass nicht das Wetter, sondern vielmehr die persönliche Verfassung massgeblich über Wohlbefinden und Unwohlsein entscheide. Von Biowetterprognosen hält der Wissenschaftler in etwa soviel wie von Horoskopen: «Sie nützen kaum etwas, aber sie schaden auch nicht.»



Das Wetter und die selbsterfüllende Prophezeiung



Ganz ähnlich sieht das Hans Richner, Professor für Klimaforschung an der ETH Zürich. In einem Interview mit dem deutschen TV-Sender «ARD» erklärt der als «Föhn-Papst» bekannte Experte, Biowettervorhersagen würden einem regelrecht suggerieren wollen, dass man jetzt doch bitteschön «Kopfschmerzen, Verdauungsbeschwerden oder Krämpfe haben müsste». Die Schwierigkeit, Beschwerden nachweislich auf Wetterverhältnisse zurückzuführen, liege laut Richner darin, dass es sich hier - wenn sie überhaupt existierten - um äusserst geringe Effekte handle: «Ein statistischer Nachweis des Zusammenhangs ist schwierig. Man hat hier den sogenannten statistischen Schnüffeleffekt. Das heisst, wenn ich viele Parameter in genügend verschiedener Weise miteinander kombiniere, dann kriege ich schliesslich immer ein positives Resultat».

Aussagekräftiger sind die Ergebnisse, wenn die Analysen objektiveren Daten wie einer diagnostizierten Erkrankung und Temperatureinflüssen zu Grunde liegen. Für Ältere, beziehungsweise Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, können sogar geringe Temperaturschwankungen gefährlich werden, wie Krishnan Bhaskaran und sein Team von der London School of Hygiene and Tropical Medicine herausfanden. Dazu sichteten Bhaskaran und seine Kollegen zwischen den Jahren 2003 und 2006 Daten von mehr als 84 010 Herzinfarkt-Patienten in England und Wales und verglichen sie mit den Wetterinformationen der Wohnorte der Menschen. Ihre Analysen, die im «British Medical Journal» veröffentlicht wurden, zeigten, dass das Herzinfarkt-Risiko mit jedem gesunkenen Grad um zwei Prozent anstieg. Umgekehrt hatten steigende Temperaturen keinen Einfluss auf die Infarkt-Gefahr der in die Studie eingeschlossenen Personen.

Herzpatienten zählen allerdings weniger zu den Wetterfühligen, als zu den sogenannten Wetterempfindlichen: Während Wetterfühlige grundsätzlich gesund sind, sich aber durch meteorologische Faktoren beeinträchtigt fühlen, leiden Wetterempfindliche an einer Grunderkrankung wie beispielsweise Asthma, einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, Rheuma oder Bluthochdruck.

Wer sich glücklich schätzen kann, nicht unter einer chronischen Krankheit zu leiden, sich aber dennoch durch Wetterschwankungen negativ beeinflusst fühlt, sollte es mit Abhärtung versuchen. Darunter versteht die medizinische Klimatologin Angela Schuh Methoden, die das Immunsystem stärken und durch das Steigern der Kondition für Wohlbefinden sorgen. Dazu gehören der Spezialistin zufolge Ausdauersport, Sauna oder Kneippsche Anwendungen.



http://www.20min.ch/wissen/gesundheit/story/17370913

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